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Briefe – ein altes Medium neu entdeckt

Snapchat, WhatsApp und Co. zum Trotz – warum Briefe schreiben spannend ist

„Briefe schreiben ist langweilig und altmodisch“, antwortet meine Tochter und rollt die Augen. Für sie sind Snapchat, WhatsApp und Co. der Mittelpunkt der Kommunikation. Das sehe ich als Herausforderung und überlege: „Was macht Briefe schreiben eigentlich reizvoll?“ (Kopfstandtechnik). Prompt fallen mir zahllose Briefe ein, die ich als Jugendliche an meine Brieffreundin in England schrieb. Ganz zu schweigen von den Briefchen während der Unterrichtsstunden. Echte Kontakte machen das Briefeschreiben im Unterricht auch heute für Youngsters spannend, behaupte ich!

Den Rahmen festlegen: Echte Kontakte als Anreiz zum motivierten Schreiben

Für meinen Unterrichtsverlauf überlege ich mir folgende Schritte:

  1. Ich suche weltweit Kontakte, die an echter Brieffreundschaft interessiert sind. Hierzu nutze ich epals.com.
  1. Wir erarbeiten Struktur und Wortschatz eines informellen Briefes (dazu weiter unten mehr).
  2. Die Schüler entscheiden anhand der Angebote, wem sie schreiben, und verfassen einen ersten gemeinsamen Brief.

  1. Der Rahmeninhalt der weiteren Briefe wird durch die Schulbuchlektion vorgegeben (Grund: Umwälzung neuer Lerninhalte). Bei meinem Feldversuch bot sich an, nach einer kurzen Vorstellung der eigenen Person über das Thema „This is where I live“ zu sprechen (G21 B1, Unit 2).
  2. Alle Jugendlichen verfassen eigene handgeschriebene Briefe (keine E-Mails) an ihre jeweiligen Brieffreunde oder Brieffreundinnen. (Grund: Verbesserung der Schreibfähigkeit durch Schreibübung – siehe auch: „Mit der Hand schreiben hilft“ oder „Handschrift hilft dem Gehirn auf die Sprünge“).
  3. Die Lernenden machen einen gemeinsamen Ausflug zum Postschalter und senden den ersten Umschlag an die Partnerklasse. Alle weiteren übermittle ich selbst.
  4. Sie warten auf Antwort.
  5. Die Schülerinnen und Schüler reagieren auf die Antwortbriefe und starten eine persönliche Interaktion. Außerdem arbeiten sie die neuen vorgegebenen Rahmeninhalte in den Brief ein.

Der Blick ins Detail: Wortschatz und Struktur eines informellen Briefes erarbeiten

Lernziel 1: den informellen Brief kennen lernen

Ich wähle drei bis vier Lehrkräfte im Portal epals aus, die daran interessiert sind, in Kontakt mit meiner Klasse zu treten. In Partnerarbeit lasse ich die zerschnittenen Briefe rekonstruieren.

 

Lernziel 2: Die Struktur des Briefes durchschauen und den neuen Wortschatz erfassen

Durch den Vergleich mit anderen Briefen finden die Schüler Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Sie erarbeiten typischen Wortschatz sowie die Struktur des informellen Briefes.

 Lernziel 3: Das neue Wissen anhand eines Spieles gemeinsam einüben

Um das neue Wissen zu festigen, setze ich Writing Drill Games ein.

 Lernziel 4: Allgemeinen Wortschatz zum Lehrwerksbezogenen Thema sammeln

Anschließend erarbeiten wir mit Mindmaps den Wortschatz, den die Lernenden für ihre Briefe gebrauchen können.

 

Lernziel 5: Einen eigen informellen Brief auf der Basis der Lehrwerkinhalte selbstständig verfassen (siehe Schritt 5).

Der Nutzen des Briefeschreibens

Im Vorfeld hatte ich mir einige Gedanken darüber gemacht, warum ich das Briefeschreiben auch in der heutigen Zeit für sinnvoll halte. Nach dem Unterrichtsprojekt habe ich meine Erfahrungen mit meinen Vorüberlegungen abgeglichen. Hier eine Übersicht:

  • Auf Antwort Warten: Im Zeitalter von Facebook, WhatsApp und Co. sind Schüler gewohnt, nahezu unmittelbar Antwort zu erhalten. Das längere Warten auf die Briefantwort nutzt die entstehende Spannung und erzeugt Vorfreude. Erfahrung: Viele Schülerinnen und Schüler fiebern ihren Antwortbriefen sehr entgegen und fragen häufig, ob bereits neue Post eingetroffen ist, oder erkundigen sich, wie lange ein Brief ins Ausland unterwegs ist.
  • Handschrift statt Tippen: Das Tippen einer Email ist in seiner Form (Layout, Handschrift) begrenzt. Die Rechtschreibung rückt durch Autokorrektur in den Hintergrund. Durch ihre Handschrift lernen die Jugendlichen hingegen unbewusst einen Teil ihrer Persönlichkeit kennen. Erfahrung: Es ist spannend zu sehen, wie die eigenen Schülerinnen und Schüler die Handschrift der Brieffreunde entschlüsseln. Außerdem erkennen sie, dass es wichtig ist, auf die Rechtschreibung zu achten, da Fehler ein massives Verständnisproblem zur Folge haben können.
  • „Echte“ Brieffreunde: Briefe an erfundene Schulbuchpersonen sind surreal, unüberlegte Sätze bleiben ohne Folgen. Echte Kontakte andererseits wecken Motivation und steigern das Bedürfnis, korrekte Sätze zu formulieren. Erfahrung: Von der Antwort ihrer Brieffreunde erwarten meine Schülerinnen und Schüler im gleichen Maße Engagement, wie sie für ihren eigenen Brief aufgewendet haben.
  • Wörterbucharbeit: Das verstaubte Wörterbuch im Klassenzimmer wird nur nach Aufforderung benutzt. Beim Briefeschreiben wollen die Jugendlichen das Wörterbuch aber verwenden, um ihre Ideen in der Fremdsprache auszudrücken. Erfahrung: Es ist extrem spannend zu beobachten wie Schüler plötzlich beginnen, Wörterbücher zu wälzen und sich gegenseitig um Hilfe zu bitten, wenn ihnen entsprechendes Vokabular fehlt.

Entdecken auch Sie das alte Medium „Brief“ mit ihren Schülerinnen und Schülern wieder. Ich bin mir sicher, die Jugendlichen werden begeistert sein. Wir jedenfalls gründen im nächsten Schuljahr die AG „Brieffreunde“.

Downloads

Arbeitsblatt: Start writing letters


Beitragsbilder: privat, epals und fotolia #119299507 | Urheber: Ivan Kruk

Über Ramona Pfenning

Ramona Pfenning arbeitete als Lehrkraft für Englisch, Geschichte und Ethik bereits in Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Vom Wortschatz-Blog erhofft sie sich viel Interaktion mit anderen Lehrkräften sowie Ideen und Anregungen für den eigenen Unterricht.

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