“Das Pferd hat braune Lederstiefel.” Ohne-Kontext-Lernen? Ja, bitte!

Über viele Jahre war das Kontext-Lernen das Non-Plus-Ultra im Spracherwerb. Angelehnt an das Lernen der Muttersprache sollten auch Zweit- und Fremdsprachlernende aus dem Kontext erraten oder erschließen, welches unbekannte neue Wort sich hinter einem Begriff der Fremdsprache versteckte. Kontext wurde auch deshalb betont, weil er zuvor als fehlend wahrgenommen wurde: Zufällige Vokabellisten mit scheinbar unzusammenhängenden Wörtern sollten der Vergangenheit angehören. Um Vokabular im mentalen Lexikon im semantischen Bereich andocken zu lassen, kam das Lernen und Erschließen aus dem Kontext hinzu:  “Sheila has lighter hair than her classmates. Her hair is very blonde.” Es braucht nicht einmal die Ähnlichkeit der Wörter “blonde” und “blond”, um hier aus dem Zusammenhang zu erraten, welches deutsche Wort sich wohl hinter “blonde” versteckt. Es gibt keine hellere Haarfarbe.  Das Wort ist in hohem Maße erratbar. Hatten Schüler:innen dennoch Schwierigkeiten, das Wort zu erschließen, gab es weitere Hinweise über den Zusammenhang.

Der – eigentlich offensichtliche – Nachteil des Lernens mit Sinn-Kontext: Wenn ich ein Wort ganz leicht im Zusammenhang erraten kann, sieht mein Gehirn keinen Grund, sich das Wort zu merken. Denn Raten ist ja so einfach, oder? Und nichts an diesem Satz hat mich als Lernende berührt, geschüttelt, zum Imaginieren oder Lachen gebracht. Gar nichts.

Ein wichtiges Argument für das Lernen im Kontext war immer, dass die Schüler:innen dadurch lernen, die Vokabeln grammatisch korrekt in Sätzen zu verwenden, zum Beispiel, wenn ein Verb nach einer bestimmten Präposition verlangt. Durch Kontext, der keine Rückschlüsse auf die Bedeutung der Vokabeln zulässt, erhält man sich diesen Vorteil, nötigt die Schüler:innen aber trotzdem, die Wörter tatsächlich zu lernen. Das unbewusste Wissen über Grammatik kann hier sogar als Entschlüsselungshilfe dienen. 

Bemerkenswerter Quatsch

So sieht es aus, wenn (zusätzlich) Nonsense ins Spiel kommt.

  • Mein Auto ist eine hervorragende Waschmaschine.
  • Eine Rose hat gelbe Schnürsenkel.
  • Dein Onkel läuft quadratisch.

Das kann man nicht einfach erraten – man muss alle Wörter kennen, um zu verstehen, worum es in diesen Sätzen geht. Kennt man sie nicht, muss man im Wörterbuch nachsehen oder jemanden fragen. Man muss sich also mit dem neuen Vokabular beschäftigen. Es entsteht ein Bild. Es entstehen Fragen. Wie läuft der Onkel? Da muss nachgeschlagen werden. Und während des Nachschlagens spielt das Wort im Kopf Pingpong. Ohne, dass wir es merken, bewegt es sich von einem System des mentalen Lexikons ins nächste. Akustik trifft Schreibweise trifft emotionales Lernen. Können wir es vielleicht doch erraten?

Hat es Ähnlichkeit mit einem anderen Wort? Wie klingt es? Und wie oft wiederholen wir es in Gedanken, bis wir es im analogen Wörterbuch gefunden oder ins elektronische Wörterbuch eingetippt haben? Welche Zusatzinformationen finden wir dort? Und welche Strategien der Wörterbuchverwendung verinnerlichen wir nebenbei oder ganz bewusst?

“Die Wolke ist so schön wie Softeis.”

Nicht zu unterschätzen ist die Wirkung des ungewöhnlichen Bildes, das entsteht und sich mit Klang und Schriftbild einprägt. Ein mit Wasser gefülltes Auto, in dem Wäsche zirkuliert, das vergisst man so schnell nicht. Eine Wolke mit Vanillegeschmack bleibt in Erinnerung.

Ein Nonsense-Generator

Nun können wir uns als Lehrer:innen einige Stunden lang Nonsense-Sätze ausdenken. Irgendwann verlässt uns dann vermutlich die Einfallskraft. Oder wir basteln mit den Schüler:innen einen Nonsense-Generator, dem wir nach und nach neues Vokabular hinzufügen.

Und hier ist die Anleitung:

  1. Ein Daumenkino mit Subjekten
  2. Ein Daumenkino mit Prädikaten
  3. Ein Daumenkino mit Objekten
Drei Daumenkinos

Drei Daumenkinos ergeben ein lustiges Spiel.

Mit “Daumenkino” meine ich kleine Zettel mit einzelnen Worten, die links mit einer Büroklammer zusammengehalten werden und die man blitzschnell durchblättern kann. Bei Stopp wird das Wort ausgesucht.

The pupil – swims – with the birds.

The mouse – paints – with the forks.

Die Daumenkinokartuschen können durch die Büroklammern leicht ausgetauscht oder neu gemischt werden. Die Lernenden können sich bei Walk-and-Talk-Übungen mit ihren Daumenkinos zusammentun, gemeinsam lachen und gedanklich übersetzen. Jeweils drei Personen treffen sich. Eine:r trägt das Subjekt bei, eine:r das Prädikat, eine:r das Objekt. So festigt sich auch Vokabular aus früheren Lektionen und es entstehen lustige Gruppenmomente mit Bewegungsmöglichkeit. Anschließend werden neue Gruppen gebildet.

Montagsmaler mit Reimrätseln

Um den akustischen oder visuellen Aspekt hervorzuheben, können Lernende nach einigen Lernjahren auch auf bereits vorhandenes Vokabular aufbauen. Sie können damit zum Beispiel eigene Nonsense-Sätze bilden, die auf Reimen basieren oder Ähnlichkeiten im Schriftbild aufweisen.

  • There are clues in our shoes.
  • There are laces in our cases.
  • There are roots in our boots.

Das Bild von Schnürsenkeln im Koffer oder Hinweisen in den Schuhen verbindet sich mit der akustischen Erinnerung. Eine Eselsbrücke ist geschaffen, eine neue Struktur zwischen mentalen Netzen.

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Nonsense-Sätze lassen sich mit einfachen Mitteln bebildern.

Damit die Verknüpfung besonders lange hält, empfiehlt es sich, die sprachlichen Bilder tatsächlich zu zeichnen oder pantomimisch umzusetzen. Auf die Kreativität der Lernenden ist hier sicher Verlass. Die Zeichnungen können auch nach dem Montagsmalerkonzept von der Klasse erraten werden: An der Tafel präsentiert jeweils ein:e Schüler:in das Bild eines Reimsatzes. Der Rest der Klasse rät. So können alle ihre schlauen Überlegungen vorführen und üben zugleich ein Präsenz vor der Gruppe. Montagsmaler lässt sich übrigens auch online spielen, falls der Unterricht mal wieder digital stattfinden sollte. Die Lernenden laden dann ihre Bilder hoch. Im Chat können alle Klassenkamerad:innen mitraten.

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Über Mareike McKim

Mareike McKim ist Gymnasiallehrerin für die Fächer Englisch, Deutsch und Darstellendes Spiel an einer Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe in Hessen. Sie ist UNESCO-Delegierte für die Rolle von Bildung für Frieden und Nachhaltigkeit. Gemeinsam mit ihren Kollegen beim Pestalozzi-Programm des Europarats und anderen ehemaligen Finalisten des Weltlehrerpreises setzt sie sich für nachhaltige Bildung und die Anerkennung des Lehrberufs ein. Ihr Konzept einer Bildung für Frieden und Nachhaltigkeit vertritt sie als Sprecherin und Autorin in Fortbildungen und bei Konferenzen, u.a. bei TEDxHeidelberg. Blog: www.mareikehachemer.jimdo.com

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