Ferien: Zeit zum Wörtersammeln
Wortschatz aus den Ferien hält lange vor – auch wenn er nicht immer nützlich ist.
Als Studentin verbrachte ich meine Sommerferien, indem ich mit einem Interrail-Ticket durch Europa reiste. Zu den schönsten Erinnerungen an diese Zeit gehören die vielen spontanen Begegnungen mit anderen Interrail-Reisenden aus allen Ecken des Kontinents. Zum Beispiel traf ich einmal im Zug irgendwo in Südfrankreich einen netten Norweger. Wir vertrieben uns die Zugfahrt damit, einander Wörter in unseren Muttersprachen beizubringen. Seitdem weiß ich – bis heute – dass Sonnenblume auf Norwegisch „Solsikke“ heißt. Nicht, dass mir dieses Wissen jemals irgendetwas genützt hat. Aber manchmal fällt es mir wieder ein, wenn ich von einem Zugfenster aus Sonnenblumen sehe. Eine ganze Menge Wörter sind im Lauf der Jahre auf Reisen und bei anderen Gelegenheiten zusammengekommen. Ich kann unter anderem auf Koreanisch bis zehn zählen, auf Serbisch Bier bestellen, auf RuKwangali danke und auf Rumänisch Tschüss sagen. Das Wörtersammeln erinnert mich ein bisschen an Pippi Langstrumpfs „Sachensuchen“. Und weil es wie letzteres zwar nicht einem konkreten Zweck dient, aber trotzdem seinen Sinn hat, möchte ich heute zum Wörtersammeln in den Ferien aufrufen.
Wörter als persönliche Schätze
Ich behaupte, dass sich die meisten Menschen an irgendwelche in Zufallsbegegnungen gelernten Vokabeln erinnern – zum Beispiel erzählt Wortschatz-Blog-Autor Matthias Wunsch davon, wie er die englische Vokabel für „Mehrfachsteckdosenleiste“ gelernt hat und warum er das heute noch weiß.
Auch wenn man viele auf diese Weise gelernte Wörter nie wieder braucht, sind sie zusammengenommen ganz und gar nicht nutzlos. Denn mit den Wörtern kommen die Erinnerungen an die Situationen, in denen man sie gelernt und bestaunt hat. Und mit den Erinnerungen wiederum kommt die Idee der Mehrsprachigkeit: Man beginnt, sich selbst als Teil einer mehrsprachigen Gesellschaft zu verstehen und die Sprachunterschiede nicht als Hürden zu sehen, sondern als Einladung, ein bisschen in die Wortwelten der anderen hineinzuschnuppern.
Neugier auf die Menschen hinter den Wörtern
Antoine de Saint-Exupéry wird ein Zitat zugeschrieben, das verdeutlicht, was ich meine: „Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer und Frauen zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“ Zwar hat Saint-Exupéry das in Wahrheit so nie geschrieben (für ganz Genaue: Es gibt aber eine sinnverwandte Stelle in Citadelle LXXV), aber schön ist der Spruch trotzdem. Ich finde, man kann ihn auch auf Wörter und Sprachen umformulieren, ungefähr so: Wenn du jemandem eine Sprache beibringen möchtest, dann präsentiere nicht nur komplizierte Grammatikregeln und lange Wörterlisten, sondern lass ihn diese ganz besondere Freude kennen lernen, die in interkulturellen Begegnungen entsteht.
Auch wenn nach den Ferien wieder der Ernst des Schulalltags losgeht: Vielleicht gibt es ja in den ersten Stunden des neues Schuljahres ein wenig Raum, in dem die Schülerinnen und Schüler (und gern auch die Lehrkräfte) von den Wörterschätzen erzählen können, die sie in den Ferien gesammelt haben.
Beitragsbild: fotolia #133024135 | Urheber: Antonioguillem

Über Alexandra Mankarios
Studierte Sprachlehrforscherin, Journalistin und privat ein echter Sprachenfan: Spricht vier Sprachen fließend und hat zwei unterrichtet. Begeistert sich für Semantik und würde gern einmal ihr eigenes mentales Lexikon aufschlagen.
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